23. antifaschistische und antirassistischer Ratschlag am 01. und 02. November in Suhl

Seit 1990 findet in Thüringen jährlich der antifaschistische und antirassistische Ratschlag statt. Primäres Ziel war es den Kampf gegen die damals erstarkenden faschistischen Tendenzen voranzutreiben, die Aktiven zu vernetzen und Positionen sowie Strategien im Bereich des Antifaschismus und Antirassismus zu diskutieren. Der Ratschlag findet wie jedes Jahr um den 9. November herum statt, um an den Jahrestag der Reichspogromnacht 1938 zu erinnern, als Deutsche landesweit Synagogen und andere jüdische Einrichtungen niederbrannten und Jagd auf Jüdinnen und Juden machten.

„Im grünen Wald die rote Stadt, die ein zerschossen‘ Rathaus hatt“

In der Vergangenheit galt Suhl als „rote Stadt“, als Hochburg der Arbeiterbewegung. Noch heute erinnert ein Spruch am Rathaus an den Kampf der Arbeiterwehren gegen die faschistischen Milizen während des Kapp-Putsches 1920. Damals hatten die kämpfenden Arbeiter_innen die Putschisten aus Suhl vertrieben, woran viele Jahre später noch die Einschusslöcher am Rathaus erinnerten. Auch während der Zeit des Nationalsozialismus, als die überwältigende Mehrheit der deutschen Bevölkerung sich in die mörderische Volksgemeinschaft einfügte, agierten in Suhl mehrere Widerstandsgruppen, wie etwa die Friedberg-Gruppe.
Heute bildet die kreisfreie Stadt Suhl zusammen mit der Nachbarstadt Zella-Mehlis, trotz rapider Bevölkerungsverluste, ein Zentrum im Süden Thüringens und ist damit auch ein zentrales Ziel faschistischer Organisierungen, was sich in den vergangenen Jahren unterschiedlich stark bemerkbar machte. In Suhl und Umgebung gab und gibt es dauerhaft eine aktive Naziszene, in der die Akteure immer wieder unter verschiedenen Namen und Gruppenzusammenhängen auftraten. Löste sich eine Neonazigruppe auf, dauerte es meist nicht lange, bis sich eine neue gründete. Doch nicht nur die organisierten Faschisten im Raum Suhl und Zella-Mehlis sind ein Problem. Auch nicht organisierte Neonazischläger bedrohen immer wieder die Gesundheit und das Leben von Menschen, wie der Mord an einem sozial ausgegrenzten Mann in Suhl-Nord im vergangenen Jahr zeigt, welcher durch drei junge Neonazis gefoltert und getötet wurde. Egal ob Nazikneipen in den umliegenden Orten, Rechtsrockkonzerte, Nazischläger oder regelmäßige Propagandaaktionen – die Region Suhl und Zella-Mehlis ist schon seit Jahren ein beliebtes Aktionsfeld für organisierte und unorganisierte Neonazis. Die Mehrheitsgesellschaft schaut dabei viel zu oft weg oder stimmt stillschweigend zu.
Der Alltag von Flüchtlingen in Suhl ist nach wie vor geprägt von Angst und Unsicherheit. Den kurzzeitig Geduldeten mit schwebenden Asylverfahren droht permanent die Abschiebung. Flüchtlingsgruppen, wie den Roma wird Asyl generell verwehrt. In Suhl-Goldlauter befindet sich der Thüringer Abschiebeknast und damit ein Sinnbild der Menschenfeindlichkeit. Nichtsdestotrotz hat sich die Situation für Flüchtende in Thüringen nach zähen Kämpfen in den letzten Jahren gebessert. Wie schon seit vielen Jahren in Suhl wurde im Dezember 2012 auch das Isolationslager in Zella-Mehlis geschlossen. Das rassistische Gutscheinsystem wurde vielerorts und die Residenzpflicht thüringenweit abgeschafft.

Extrem sind die gesellschaftlichen Verhältnisse, nicht der Widerstand dagegen

Im April diesen Jahres sollte der Thüringer Ratschlag mit dem Demokratie-Preis des „Bündnis für Demokratie. Gegen Extremismus und Gewalt“ geehrt werden. Wir haben uns dazu entschieden, diesen Preis abzulehnen, vor allem um gegen die sogenannte Extremismus-Theorie zu protestieren. Der Extremismus-Ansatz ist zum einen ein ideologisches Kampfmittel, das menschenfeindliches Denken und Handeln als Problem politischer Ränder darstellt. Damit sollen die Gemeinsamkeiten der eigenen konservativen und reaktionären Politik mit diesem Denken verwischt werden. Zum anderen will der Extremismus-Ansatz die politische Linke diffamieren, indem der historische Nationalsozialismus mit dem Staatssozialismus parallelisiert und heutiger faschistischer Terror mit antifaschistischem Engagement gleichgesetzt wird. Solche Vereinfachung bzw. Verfälschung der Wirklichkeit dient nicht nur der gesellschaftlichen Verdummung, sondern relativiert die Verbrechen des Nationalsozialismus und verhöhnt dessen Opfer. Daran will sich der Ratschlag nicht nur nicht beteiligen, wir wollen solchen Tendenzen durch Aufklärung entgegenwirken.
Der Ratschlag tritt einer solchen wie jeder anderen Kriminalisierung des emanzipatorischen Widerstands gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse entgegen. Jene Verhältnisse bedeuten für die meisten Menschen auf der Welt Armut und Unterdrückung, sie bedeuten die kapitalistische Ausbeutung des Großteils der Weltbevölkerung, die Abschottung des globalen Nordens durch Abschiebung und Grenzsicherung, die Drangsalierung von Hilfebedürftigen etc. Gegen solche extremen Verhältnisse Widerstand zu leisten ist notwendig und keineswegs in ein Verhältnis zu setzen mit der Umwandlung der bürgerlichen Gesellschaft in ein offenes Gewaltverhältnis, den Faschismus. Die Aktiven des antifaschistischen und antirassistischen Ratschlags in Thüringen verbindet das Interesse an einer offenen und solidarischen Gesellschaft, in der alle Menschen ohne Angst verschieden sein dürfen. Dass eine solche Gesellschaft nicht erreicht ist, darüber sind wir uns einig, wie wir uns einer solchen Gesellschaft nähern wollen und können, darüber wollen wir streiten.

Ratschlag im Spannungsfeld: gesellschaftliche Breite und Kritik der Verhältnisse

Es gibt viele Gründe aktiv gegen Rechts, aktiv gegen Nazis vorzugehen. Fragen wie die Wahl der richtigen Mittel der politischen Auseinandersetzung als auch die inhaltlichen Forderungen sind immer wieder neu zu diskutieren. Der Ratschlag will als Ort für Diskussion zur offenen Auseinandersetzung zwischen denen beitragen, die pluralistisch orientiert, sich um gesellschaftliche Breite bemühen und ihren Fokus auf die Verhinderung von Naziaufmärschen sowie die Aufklärung der Bevölkerung legen wie denen, die Rassismus und Antisemitismus als gesellschaftliche Verhältnisse, als notwendige Erscheinungen in einer kapitalistischen Gesellschaft begreifen, die Aktionsformen, die diese Ordnung reproduzieren ablehnen und in der Abschaffung jenes kapitalen Verhältnisses die Lösung sehen.

Auch diesem Spannungsfeld wird sich der Ratschlag aktiv stellen, ohne Differenzen kitten oder kaschieren zu wollen.

Der Thüringer Ratschlag repräsentiert die Vielfalt des Antifaschismus und Antirassismus in Thüringen und möchte unterschiedliche gesellschaftliche und politische Gruppen ansprechen. Er richtet sich auch an die interessierte Bevölkerung aus Suhl und Umgebung. Wer am 2. November gemeinsam mit uns diskutieren, sich und andere aufklären und sich mit anderen Aktiven vernetzen möchte, den wollen wir herzlich einladen zum antifaschistischen und antirassistischen Ratschlag nach Suhl zu kommen!

Alle Infos zum Ratschlag, das Programm, sowie die Workshop-Beschreibungen findet ihr hier: http://www.ratschlag-thueringen.de
Wenn ihr Interesse an einer gemeinsamen Anreise nach Suhl habt, dann meldet euch per Mail oder kommt bei uns vorbei!

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